Death is a good companion on the road to living well and dying without regret. Frank Ostaseski, The Five Invitations

Resilienz..oder: Wie man es schafft, aus bloßer Einsicht sich selbst zum Wohle Anderer zu verändern.

Heute: Wie Ärzte gesund bleiben. Eine Rezension

Vorweg. Wie ist das Buch mit diesem Thema in unsere Aufmerksamkeit geraten?…Im Mai 2017 haben wir im Benediktushof bei Würzburg ein mehrtägiges Seminar zur Resilienz für Kriegsenkel in beruflicher Verantwortung gegeben. Da waren erstaunlich viele Ärzte dabei. Im Februar 2018 gibt es ein mehrtägiges Seminar Resilienz für Kriegsenkel in Führungsverantwortung.

Kennen Sie das kleine Büchlein von Hans Georg Gadamer: Über die Verborgenheit der Gesundheit? – Erster Satz: Daß alle unsere Erkenntnis mit der Erfahrung anfange, daran ist kein Zweifel.( Anm.: Dies ist ebenfalls der Anfang von Kants „Kritik der reinen Vernunft“) Letzter Satz: Die Seele ist die Lebendigkeit des Leibes. Dazwischen philosophische Einsichten zur (verlorenen) Kunst des Heilens.-

Im Jahre 2000 gab Gadamer, der im Alter von 22 die Erfahrung der Kinderlähmung machen musste, anlässlich seines hundersten Geburtstages noch ein Interview. Er wies der Philosophie darin zwei zentrale Aufgaben zu: Zum einen, die Weltreligionen (wieder) ins Gespräch miteinander zu bringen und ihnen bei der Verständigung zu helfen. Zum anderen: den Menschen, die im Feld der Medizin arbeiten, bei der Erfüllung des Hippokratischen Eides zu unterstützen. – Es ist sehr wahrscheinlich, dass man mit dieser letzteren Einstellung als Philosoph im heutigen Medizin-Betrieb einen sarkastischen Lacher erzeugt…oder? Besonders wenn Sie auch noch Gilles Deleuze zitieren: Der Philosoph der Zukunft ist Künstler und Arzt…Wie sieht es also aus im Gesundheitsbetrieb von heute – speziell bei Ärzten und Ärztinnen in Kliniken und eigenen Praxen?

Dazu möchte ich einen vertieften Blick in das Buch von Julika Zwack Wie Ärzte gesund bleiben werfen. Die Fakten und Erkenntnisse der 1. Auflage des Buches basieren auf Daten aus 2012.- (Rezensions-Exemplar freundlicherweise vom Thieme Verlag)

Studien zur Ärztegesundheit besagen, dass die Berufsgruppe starken Belastungen ausgesetzt ist. Etwa jeder fünfte entwickelt im Laufe des Lebens eine seelische Erkankung, ein Erschöpfungssyndrom, ein Burnout – Medikamenten-Mißbrauch ist häufig aufgrund der leichten Zugänglichkeit…und in keinem anderen Beruf ist die Selbstmordrate höher. Wie kann es also gelingen diesen Beruf unter den gegebenen strukurellen Bedingungen auszuüben und dabei selbst gesund und zufrieden zu bleiben?

Eigentlich ist es ja ein Paradox, dass die „Spezialisten für Gesundheit“ in ihrer eigenen Bilanz so schlecht dastehen. Im Bewältigen von emotionalen Herausforderungen durch Tod, Sterben, Leid und Mißerfolgen, das oft in einem Arbeits-Klima geleistet werden muss, dass sich durch hohes Tempo, Hierarchiedenken, Fremdbestimmung, Ohnmachtserfahrungen, Unkollegialität, Mobbing und Einzelkämpfertum geprägt ist, wird die Lebensqualität von Ärzten einer harten Probe ausgesetzt. Viele erleben ihre Arbeitsrealität als Hackordnung. Konflikte direkt anzusprechen oder gar zu lösen erscheint im Alltag äußerst „schwierig“ ( und ist obendrein oft auch nicht gelernt – Sozialkompetenz spielt in der medizinischen Ausbildung immer noch kaum eine Rolle ). Und… als sei es dies alles nicht bereits genug, kommen zu den fachlichen und sozialen Stressoren auch noch arbeitsbedingte physische Belastungen durch Schlafmangel, Daueranspannung und Überstunden hinzu.

Es entsteht der wohl begründbare Eindruck, dass Arzt- bzw. Ärztin-Sein sein heute nur unter durch und durch ökonomisierten und bürokratisch verdichteten Rahmenbedingungen möglich ist – mit entsprechend wenig Zeit für PatientInnen und dadurch bedingten Verlusten an Sinnerleben.

Nicht wenige kommen zu der Erkenntnis: I´ve done too much for too many for too long with too little regard for myself – Ich habe zu lange zu viel für zu viele (andere) getan, mit zu wenig Aufmerksamkeit für mich selbst.

Resilienz bezeichnet beim Menschen die Fähigkeit, mit Belastungen in gesundheitserhaltender Art und Weise umzugehen.

Die Resilienzforschung zeigt, dass seelische Elastizität sich aus mehreren Faktoren zusammen setzt:

  • starke physische Konstitution
  • ein ausgeglichenes Temerament
  • soziale wie emotionale Intelligenz
  • stabile Affektregulation
  • effiziente Konflikt- und Kommunikationsfähigkeiten 

Das sind Voraussetzungen, um leichter Zugang zu vorhandenen Ressourcen zu öffnen, wie zum Beispiel in stressigen Phasen die aktive Unterstützung des sozialen Umfelds durch angemessene Interaktionen zu mobilisieren.

Julika Zwack nennt das Zusammenspiel von Anforderungen und Ressourcen, eingebettet in Gewinn- und Verlustspiralen. Ist ja auch klar: jeden Tag treffen Ärzte unzählige Entscheidungen in stark dynamischen Kontexten – Familien-Management morgens, zur Arbeit fahren, Visite machen, welche Weiterqualifizierung, Fallbesprechungen und Shared Decision Making, Entlassungsberichte schreiben, Investitionsfragen klären…u.v.m..

Burnout geht immer einher mit verarmten Anreizlandschaften. Ob das PatientInnen-Feedback, Kollegenkreis oder LebenspartnerIn betrifft: werden wichtige persönliche Zielsetzungen wiederkehrend massiv frustriert, geht die Motivation in den Keller. Oft geschehen diese Prozesse unbewusst und schleichend, was das Gegensteuern erschwert und in einer Monokultur enden kann. Das ist in vielen Interviews mit Ärzten als Muster deutlich geworden. Das Gefühl keine Wahl zu haben – Augen zu und durch, die Suche nach Abkürzungen in Teambesprechungen, emotionaler Geiz, keine Zeit für Ressourcen-Investitionen – all dies führt zu Verhaltensgewohnheiten im Energiesparmodus. Der begleitende emotionale Reflex ist oft Abwehr. Nur kurzfristig erscheint dies als sinnvolle Lösungsstrategie.

Die Wege in seelische Erkankungen sind demnach hochindividuell. Drei Gemeinsamkeiten sind trotzdem auffallend:

  • typische Verläufe einer Abwärtsspirale
  • auf eigene Bedürfnisse wird kaum noch geachtet, Konflikte vermieden
  • das Gefühl: ich bin nicht gut genug – ich muss noch mehr leisten – ich bin Getriebener der Umstände inkl. Verlusts der Erfahrung der Sinnhaftigkeit der ärztlichen Tätigkeit

Die präzise Analysen zugrundeliegender Rahmenbedingungen ärztlicher Tätigkeiten im Buch Resilienz statt Burnout sollen Ärztinnen und Ärzte dazu animieren, die eigenen Freiräume im Abgleich aufzuspüren und zwischen ich muss – ich möchte – ich will die Möglichkeit einer neuen Balance zu entdecken. In vielen Studien zu diesem Themenkomplex geht es um die Relation zwischen Vermeidungszielen und stimmigen Bedürfnisbilanzen, denn seelische Erkrankungen werden um so wahrscheinlicher, je größer die Inkongruenz wird, je häufiger und massiver also eigene Bedürfnisse und die Realität nicht übereinstimmen. Folgende Frage scheint noch wichtiger zu sein als der Umgang mit akutem Stress: Wie zufrieden erlebe ich mich im Hinblick auf mein Leben insgesamt?

Folgende Ratschläge für vier Lebens-Dimensionen werden im Buch durchdacht und begründet:

  • Investieren Sie in Ihre außerberuflichen Lebenswelten ( Familie, Partnerschaft, Freundschaft als Kraftquelle und Rückhalt, Strategien für Erhalt und Pflege von Beziehungsressourcen)
  • Investieren Sie in Ihre Arbeitsbeziehungen ( kleine Gesten, Kollegialer Austausch, Ritualisierte Psychohygiene und Qualitätszirkel)
  • Investieren Sie in Ihre Selbstorganisation ( wie kann es schöner und angenehmer sein, innere Haltung zum Unvermeidlichen )
  • Investieren Sie in Ihre Selbsterkenntnis ( Achtsam sein, wer sich beobachtet, verändert sich, achtsame Selbstwahrnehmung

Resilienz wird dabei verstanden als die Summe guter Gewohnheiten und bewusster Entscheidungen.

Zu allen Ergebnissen der Analysen gibt es ausreichend praktische Übungen: Innere Rhythmen nutzen, Tagesabläufe achtsam gestalten, Selbstachtsamkeit in Gesprächssituationen, Umgang mit eigenem Widerstand etc.

Immer wieder geht es um Fragen wie: Was ist wann dran? Wem oder was werde ich heute gerecht und wem nicht...Fragen dieser Art wird Ihnen kein Ratgeber beantworten. Es gibt keine best practice für die eigene Entscheidung in konkreten Situationen. Die dafür notwendige Selbsterkenntnis kann man aber einüben und zu guter Gewohnheit kultivieren.

Hier käme die philosophische Reflexion im Hinblick auf die Erfüllung des Hippokratischen Eides (s.o.) ins Spiel. Denn das Gemeinwohl sollte ein starkes Interesse daran haben, dass es ÄrztInnen psychisch, emotional und sozial gut geht – notwendige Zutaten für eine Win-Win-Situation zwischen Gesellschaft und MedizinerInnenstand. Dafür braucht es eine Haltung, den materiellen Verlockungen zur Vermehrung des eigenen Wohls immer wieder wertebasiert zu widerstehen. Den passenden Wertmaßstab gibt der Hippokratische Eid an die Hand; eben hier können Philosophie und Ethik zur hilfreichen Stütze werden.

Wenn Sie also der Logik einer Aussage des Philosophen Wilhelm Schmid – „Im selben Maß, wie es an Aufmerksamkeit sich selbst gegenüber fehlt, wächst das Bedürfnis nach Aufmerksamkeit durch andere“ – entkommen wollen, erhöhen Sie die Investitionen in sich selbst, werden Sie sich klarer über Ihre wirklichen Werte und Motive.

Resilienz entwickeln bedeutet gerade nicht, mit den Rahmenbedingungen unverrückbar einverstanden zu sein. Vielmehr eröffnet es die Möglichkeiten der Wahrnehmung für eigene Veränderungspotentiale – und die Chance, sie zum Wohle aller Beteiligten zu nutzen. Das wäre gute Salutogenese.

Julika Zwack fasst in ihrem Buch das tabuisierte heiße Eisen einer der am höchsten geachteten Berufsgruppe in unserem Land an, bleibt dabei nüchtern und wohltuend unpolemisch, bietet reichhaltige Informationen und weist gangbare Auswege aus der Negativspirale.

Mir persönlich gefällt besonders die kleine Utopie der Veränderung direkt am Anfang des Buches. Ich setze sie hier als Zukunfts-Perspektive an den Schluss meiner Besprechung:

„In Deutschland arbeiteten 2011 439.090 Ärzte. Sollten Sie sich entscheiden, in Ihre persönliche Resilienz zu investieren – sollten Sie darüber hinaus zwei Ihrer Kollegen ermutigen können, Ähnliches zu tun – und wiederholte sich dieser Prozess 19-mal, würden über 520.00 Ärzte erreicht und der ein oder andere sogar in den Genuss kommen, doppelt ermutigt zu werden.“

Sie können natürlich auch damit beginnen, in das Buch TIME TO CARE von Robin Youngson reinzulesen. Untertitel: Zeit für Zuwendung – Wie Sie Ihre Patienten und Ihren Job lieben.- Das Buch richtet sich in der Widmung an all jene, die die Regel vergessen und ihr Herz geöffnet haben. Denn eins dürfte auch in der Forschung von Julia Zwack klar geworden sein: eine mitfühlende Führungskultur zu entwickeln wäre ein guter Ansatz aus dem Burnout-Dilemma in der Gesundheitsbranche. Alles kann sich ändern.

Viel Erfolg damit. Die Zukunftspioniere sind dabei.