David Suzuki

Unsere Heimat ist die Biosphäre

David Suzuki erhält den Alternativen Nobelpreis

Die Menschheit steht an einem entscheidenden Punkt in ihrer Geschichte. Sehr schnell – in weniger als 200 Jahren – ist die Bevölkerung von einer auf 6,8 Milliarden explodiert, die komplette moderne Technologie wurde geschaffen, der Konsum von nicht wirklich nötigen Gütern ist eine treibende Kraft in unserem Leben geworden, und eine globale Ökonomie versorgt uns. Diese Faktoren – Bevölkerung, Technologie, Konsum und Ökonomie – haben den ökologischen Fußabdruck unserer Spezies, der die Menge an verbrauchten natürlichen Ressourcen wie Luft, Wasser und Land misst, massiv vergrößert.

Wir ziehen Grenzen um Besitz, Städte, Staaten und Nationen, die wir bis auf den Tod verteidigen. Aber Luft, Wasser, sogar die obere Bodenschicht, Zugvögel, Säugetiere und Fische oder vom Wind getragene Samen beachten diese von Menschen gesetzten Grenzen nicht.

Die meiste Zeit unserer menschlichen Existenz waren wir lokal gebundene, in Stämmen organisierte Tiere, doch jetzt sind wir eine neue Art geologischer Kraft geworden. Von einem Flugzeug aus, das zehn Kilometer über der Erde fliegt, oder für einen Satelliten zeigt sich unsere Anwesenheit durch riesige Seen hinter Staudämmen, durch kahlgeschlagene Waldflächen, die geometrischen Formen von Bauernhöfen und Autobahnen, den braunen Dunst über Städten, die nachts vor künstlicher Energie lichterloh brennen. Es ist noch nicht lange her, als Stürme, Dürren, Wirbelwinde, Überflutungen, Waldbrände und Erdbeben als „Strafen Gottes“ oder „Naturkatastrophen“ galten, doch das ist vorbei: Wir haben uns im Schaffen solcher Ereignisse Gott gleich gemacht.

Unsere Welt ist bestimmt von unveränderlichen Gesetzen der Physik wie Schwerkraft, Entropie, Lichtgeschwindigkeit und dem ersten und zweiten Gesetz der Thermodynamik. Unsere grundlegende Biologie diktiert uns, dass wir saubere Luft brauchen, sauberes Wasser, sauberen Boden, Energie aus Photosynthese und Biodiversität. Das sind Realitäten, die wir nicht ändern können. Andere Erscheinungen unserer Welt – politische Grenzen, Kapitalismus, freies Unternehmertum, Ökonomie, Währungen, Märkte – sind keine Kräfte der Natur, sondern von uns geschaffen. Es ist der reine Irrwitz, menschengemachte Systeme höher zu werten als die Biosphäre und unserer Abhängigkeit von ihr.

Dennoch benutzt der kanadische Premierminister, genau wie die letzten Präsidenten der USA und Australiens, die Wirtschaft als Entschuldigung dafür, wenig oder gar nichts zu tun, um die Treibhausgas-Emissionen zu drosseln. „Ökonomie“ hat denselben Wortstamm wie „Ökologie“: oikos ist das griechische Wort für Haushalt oder Bereich. Ökologie ist die Erforschung des Haushalts, während Ökonomie ihn steuert. Ökologen versuchen, die Bedingungen und Prinzipien zu bestimmen, die das Überleben und Gedeihen von Lebensformen ermöglichen. Jede größere Entwicklung, jedes neue Programm sollte von diesen ökologischen Bedingungen und Prinzipien geleitet sein – lasst uns also das Öko- zurück in die Ökonomie bringen!

Heute, wo wir mit vielfältigen ökologischen Krisen ringen – Klimawandel, Abholzung der Wälder, die Ausbreitung von Wüsten, Plünderung und Übersäuerung der Weltmeere,  Ausrottung zahlloser Arten, Umweltverschmutzung etc. –, übertrumpft die Ökonomie stets alle ernstzunehmenden Aktivitäten zur Vermeidung der Katastrophe. Wir hören von der dreifachen Bedeutung von Umwelt, Gesellschaft und Wirtschaft, als seien sie sich überschneidende Ringe gleicher Größe und Wichtigkeit. Das ist natürlich barer Unsinn und verzerrt unsere Fähigkeit, das Problem zu sehen. Die Wahrheit ist: Die Biosphäre ist alles; ein großer Kreis, der einen viel kleineren Kreis als Symbol für die menschliche Gesellschaft enthält, und innerhalb dieses Kreises ist ein noch kleinerer Kreis: die Wirtschaft. Keiner der inneren Kreise kann aus dem Kreis, der ihn umfasst, herauswachsen.

Weil wir permanent in Sorge darum sind, die Wirtschaft aufrecht zu erhalten, gelingt es uns nicht zu erkennen, dass sie fundamental fehlerhaft ist, unvermeidlich zerstörerisch wirkt und einer gründlichen Überprüfung bedarf. Die Natur bietet zum Beispiel zahlreiche „Dienste“ an, die den Planeten für Tiere wie uns bewohnbar halten. Das umfasst Photosynthese, die Herausfiltern von Kohlendioxid aus der Luft, die Umwandlung von Sonnenlicht in chemische Energie und das Freisetzen von Sauerstoff – kein schlechter Service für uns, die wir Sauerstoff und chemische Energie brauchen, um sie in unserem Organismus zu speichern. Doch die konventionelle Ökonomie lehnt genau diese Leistung als „externen Effekt“ ab, genauso wie den Schutz vor Erosion, den Stickstoffkreislauf, die Herstellung von Oberboden, das Filtern von Wasser durch hydrologische Kreisläufe, das Verwesen toter Pflanzen und Tiere und so weiter. Diese „natürlichen“ oder „ökologischen Dienste“ werden von konventionellen Ökonomen ignoriert. Viele dieser Leistungen, wie Befruchtung, könnten niemals von menschengemachter Technologie vollbracht werden. Die Fähigkeiten allerdings, die wir nachahmen könnten – wie das Filtern von Wasser -, würden im Nachbau sehr viel teurer sein, als einfach die entsprechende Fähigkeit der Natur selbst zu schützen.

Unsere Welt ist die Biosphäre, diese Zone aus Luft, Wasser und Land, in der alles Leben existiert. Der späte Carl Sagan sagte, wenn wir uns die Erde auf die Größe eines Basketballs reduziert vorstellen würden, wäre die Biosphäre dünner als eine Lackschicht darauf. Das ist der Bereich, wo alles Leben existiert, und er ist unveränderlich und endlich. Nichts innerhalb dieser Schicht kann endlos wachsen. Trotzdem glauben Ökonomen, dass die Wirtschaft unbegrenzt wachsen kann (was sie nicht kann) und dass sie weiter wachsen muss. Wachstum ist sogar das eigentliche Barometer für Erfolg geworden. Fragen Sie eine Führungskraft oder einen Politiker, wie gut es ihnen geht, und sie werden unvermeidlich über Wachstum oder Schrumpfung von Marktanteilen, Profiten oder des Bruttoinlandsprodukts reden.

Doch Wachstum ist definitiv kein Zweck oder Ziel; es ist einfach die Beschreibung des Zustands eines Systems. Das Bruttoinlandsprodukt ist ein Instrument, das den Zustand der Wirtschaft anzeigen soll, und seit Wachstum unser Ziel ist, wird alles dazu genommen, was zum Austausch von Geld gegen Güter und Dienstleistungen beiträgt. So haben die Kosten für die Bewältigung der Folgen von Hurrikan Katrina Milliarden zum US-amerikanischen Bruttoinlandsprodukt beigetragen! Jedesmal, wenn jemand bei einem Autounfall, einem Feuer oder einem Tornado umkommt, steigt das Bruttoinlandsprodukt – immerhin müssen wir für die Polizei, die Unfallambulanz, die Krankenhäuser, Ärzte, Rechtsanwälte, Bestatter, Särge und Blumen bezahlen… Sie verstehen, was ich meine. Ist das nicht eine verrückte Art und Weise, Fortschritt zu messen? Besessen vom Wachstum vergessen wir, die wichtigen Fragen zu stellen, wie „Wozu ist eine Ökonomie gut?“,  „Sind wir mit all diesem Kram glücklicher oder besser dran?“ und „Wie viel ist genug?“

Die Menschheit ist eine Spezies im Kindesalter, eine der jüngsten Formen, die das Leben auf der Erde hervorgebracht hat. Wir sind erstaunlich erfolgreich gewesen – gemessen an unserer Anzahl, an Reichtum und Wohlstand. Aber wie ein frühreifer Jugendlicher sind wir vorgeprescht, um unsere geschickten Werkzeuge zur Unterwerfung der Natur zu benutzen – ohne darüber nachzudenken, wie wenig wir über das Funktionieren der Welt wissen. Wir nähren die Illusion, dass wir die Kontrolle behalten, indem wir die Natur in die Unterwerfung schmarotzen, und unsere Ignoranz hütet uns davor, die Konsequenzen und wirklichen Kosten dieses Verhaltens in vollem Umfang vorauszusehen. Und jetzt sagen uns Wissenschaftler, dass wir dabei sind, die grundlegenden lebenserhaltenden Systeme der Biosphäre zu untergraben. Wir wissen zu wenig, um mit irgendeiner wilden Art oder einem Ökosystem zurechtzukommen. Das einzige, womit wir zurechtkommen, sind wir selbst. Jetzt müssen wir zum ersten Mal unsere Einzelinteressen überwinden, als eine Gesamt-Spezies zusammenkommen und daran arbeiten, unseren Angriff auf die Biosphäre rückgängig zu machen. Wir können nur hoffen, dass die Natur noch immer Überraschungen bereit hält und eine Großzügigkeit walten lässt, die wir nicht verdient haben.

(Übersetzung: Kathleen Battke, )