Senge-Revolution„Die notwendige Revolution. Wie Individuen und Organisationen zusammenarbeiten, um eine nachhaltige Welt zu schaffen“. Das Buch von Peter M. Senge ist 2011 im Carl-Auer Verlag erschienen, hat 464 Seiten und kostet 49.- Euro. Das Orginal unter dem Titel „The Necessary Revolution“ erschien bereits 2008 bei Doubleday Publishing, New York.

Um was geht es?

In insgesamt sieben Kapiteln kreist Senge um die großen ökologischen Krisen der Welt, was bekannte Global Player wie Coca-Cola, der WWF, Nike und viele andere auf dem unter Druck entwickelten Weg zur Erkenntnis und neuem Bewusstsein dabei für eine Gestaltungsrolle spielen, und wie die Zukunft von Großunternehmen, Diversity, Führung, Kooperation und Beziehungsgestaltung aussehen wird. Es geht im Anhang um die Erklärung von Nachhaltig-keitsprinzipien wie The Natural Step, Natural Capitalism und um eine Lebenszyklusanalyse (Life Cycle Assessment), die Unternehmen im Hinblick auf ihre Umweltleistungen beurteilt (wer sich schonmal mit Gemeinwohlökonomie-Bilanzen beschäftigt hat, weiß wohin die nachhaltige Reise dabei geht).

Seit 16 Jahren bin ich ein aufmerksamer Leser und professioneller Verdauer von Peter Senge`s systemischen Forschungsergebnissen in Buch-und Aufsatzform aus der MIT-Schmiede. Ende der 1990er war Die Fünfte Disziplin und Das Fieldbook meiner Ansicht nach ein must have für jeden Berater, Coach, Trainer oder Organisations-Entwickler. Ich habe daraus für die Entwicklung meiner eigenen Beratungshaltung viel gelernt. Dafür gilt Peter Senge mein aufrichtiger Dank.

Was nun das Buch Die notwendige Revolution anbelangt – aus meiner Sicht das Werk ist zu langatmig geraten. Zu viele Gesprächs-Wiedergaben, zu viele Detailschilderungen. Bei der immensen Erfahrung, die Senge mittlerweile angesammelt hat, ist es vielleicht schwierig zu entscheiden, was drinbleiben muss und was rausfallen darf, um immer noch klar und deutlich zu sein. – Es ist logisch, das die Kerndisziplin des Systemdenkens im Zentrum steht – mittlerweile angereichert um viel dramatisches, erhellendes Detailwissen aus den Produktionszyklen der Unternehmen. Interne Zusammenhänge, Absprachen und Entscheidungsprozesse, die vor Jahren noch streng geheim waren – zum Teil sind sie es in heutigen Arbeitsverträgen immer noch – kann ich heute im Internet recherchieren oder jetzt im Buch von Senge als neue Offenheit oder als CSR-Verständnis nachlesen. Dass Effizienzstreben und Nachhaltigkeit sich zueinander verhalten wie Teufel und Weihwasser, zeigt das Beispiel der Annäherung von Coca-Cola und WWF als Verbündete in Wasserfragen (siehe S. 99/100). Da wird der Leiter der Global Water Initiative von Coca-Cola mit den Worten zitiert: Es spielt wirklich keine Rolle, wie effizient du bist, wenn es kein Wasser gibt. – Ich greife bewusst dieses Beispiel heraus, weil es verdeutlicht oder versucht zu verdeutlichen, was alles wirklich passieren muss, damit Durchbruchs-Erkenntnisse im Management einsetzen und solche Sätze nicht nur gesagt werden, sondern – so hoffen wir – auch danach gehandelt wird. Innerer Wandel gepaart mit Schockerlebnissen – sehr wahrscheinlich zuerst Schock und dadurch ausgelöster innerer Wandel mittels glaubwürdiger Überprüfung der Realität und der eigenen Wahrnehmung.

Die Zeiten, wo Unternehmen sich große Ziele setzen, ohne systemisch kluges, auf Umwelt, Ressourcen und „Nachbarn“ achtendes Management in den Wertschöpfungsketten zu betreiben, neigen sich rasant dem Ende zu.  Senge macht in seinem Buch Die notwendige Revolution an vielen Stellen, wo über laufende Projekte oder Kooperationen berichtet wird deutlich, dass das Bewusstsein vom eigenen ökologischen Fußabdruck in den Produktionsweisen von zahllosen Informationen abhängig ist und sehr langsam wächst. Das hat viel mit Kommunikation zu tun – mit dem, was gesagt wird, und dem, was verschwiegen wird. Kommunikationsfähigkeit hängt von Menschen ab, vom Charakter, von Ethik und Gewissen, von innerer Freiheit und von vorgegebenen Linien und Codizes, an die man sich halten kann (aber nicht zwingend muss).

Neue Denkweisen schaffen Raum für neue Wahlmöglichkeiten und Entscheidungen. Wenn es dazu gelingt, das ganze System zu identifizieren und in einen Raum zu holen und über die wahren Bedürfnisse und Interessen zu verhandeln, möglichst mit Methoden, die Neugier fördern und das Gemeinsame ins Zentrum der Lösungsansätze setzen – großartig. Da wird Energie frei, da werden Grenzen verschoben, das sind die Erlebnisse, die zukunftsfördernde Innovationen hervorbringen. Es ist erfrischend zu lesen, wie Senge aus dem Nähkästchen des Beraters und Entwicklers plaudert, der in allen Branchen unterwegs ist und weltweit viele CEOs persönlich kennt; so wird der tägliche Kampf des Nachdenkens über den besten gangbaren Weg in seiner Schweißhaftigkeit, aber auch in der Freude des Gelingens körperlich spürbar – weil ich es aus eigener Erfahrung so kenne und erlebe.

Die daraus entstehenden und denkbaren Szenarien sind für andere die Grundlage für Prototyping und intelligente Geschäftsmodelle (und wir wissen aus weltweiten Forschungen, dass viele Unternehmen sich mit Szenarienarbeit schwer tun, weil im Alltag, im operativen Geschäft, dafür keine bis kaum Zeit eingeräumt wird). Produkte herstellen und verkaufen war gestern: Das Kapitel Lebende Systeme als Geschäftsmodelle (S.326f.) ist voller guter Beispiele – Leasing, Sharing statt Eigentum – und die Entrepreneurship-Forschung zeigt immer besser die Zukunftsoptionen des intelligenteren Konzept-Designs. Weniger ist mehr – oder wie die Teekampagne von Günter Faltin es ausdrückt: In der Einfachheit liegt die höchste Vollendung. Da sind die Kleinen einfach viel schneller als die Großen, sie haben viel kürzere Entscheidungswege, sind beweglicher, neuerungsfähiger. – Das zeigt auch der Erfolg neuer Konzepte wie Design Thinking, entwickelt an der Universität von Stanford, wo der Nutzen für den Kunden entschieden im Zentrum des kreativen Flows steht. Neu ist doch daran „nur“, dass man einem interdisziplinären Team alle Möglichkeiten zur Verfügung stellt, Kreativität unkontrolliert zu entfesseln. Einfach mal aushalten, gezielt die Kontrolle aufzugeben… die Welt wäre allein dadurch schon eine andere.

Fazit:

Am Ende des Buches (S.425) findet sich ein Zitat des Dichters Khalil Gibran: die Sehnsucht des Lebens nach sich selbst… Schlussfolgerung wäre dann: in vielen Unternehmen ist im Moment kaum Leben anzutreffen, wenn man dort den Puls fühlen würde. Effizienzstreben und Leben, so wie Khalil Gibran es meint, sind wohl unvereinbare Gegensätze. Wirklich? – Das letzte Kapitel von Senge heißt Unsere Zukunft. Allein die Namen und Schriften, die auf den letzten vier Seiten erwähnt oder zitiert werden, öffnen den Horizont: Thoreau, die Veden, Bhagavad Gita, Konfuzius, Hafiz, Buddha, Gibran… Alle hatten großartige Visionen, Ideen und Wege, um den Menschen von innen heraus zum Leuchten zu bringen, und sie sind bis heute gültig. Für uns ZukunftsPioniere ist das die tägliche Grundlage unseres Tuns – wir müssen uns diese geisteswissenschaftlichen Sichtachsen nicht mühsam aneignen, sondern geben von dort aus denen, die Ökonomie revolutionieren wollen, Impulse als Weggefährten.

Die notwendige Revolution ist also in erster Line eine Revolution der Denkungsart (wie Kant es ausdrücken würde). Oder – so sagte Senge selbst auf der Wiener Konferenz „Wachstum im Wandel“ 2012: Die kritische Masse, auf die es ankommt, ist die, die du jeden Tag im Spiegel siehst. Als Konfliktforscher und Mediator ergänze ich: die Gefühle dabei auf keinen Fall ignorieren. Die Evolution will es so! Also, back to the roots und… es ist völlig in Ordnung, wenn man erstmal nicht weiß, wie es geht.

Senge gibt uns dazu einen Tipp, der auch klar macht, warum sein Buch das Wort Revolution im Titel trägt: Wandel sei schwer möglich – es brauche wohl einen echten Bruch, wenn sich etwas in die skizzierte Richtung ändern solle. Das klingt nicht gerade gemütlich. Die Botschaft – billiger ist es nicht zu haben: Raus aus den Komfort-Zonen, und rein in den Zukunftspioniergeist!